«Von meinen Athletinnen und Athleten erwarte ich volles Engagement und Leidenschaft für den Sport»

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Seit dem 1. November ist Patrick Cinca Gruppentrainer beim Schweizer Snowboard-Halfpipe-Team. Der Deutsche war in den letzten vier Saisons als Trainer für das österreichische Snowboard-Team tätig und trainierte dabei die Superstars der Szene Anna Gasser und Clemens Millauer. Unter seiner Anleitung gewann Anna Gasser Olympia- und WM-Gold. Im Interview spricht er über seine Ankunft im Schweizer Team, die Herausforderungen und sich selbst.

Patrick, seit anderthalb Monaten bist du Gruppentrainer bei den Schweizer Halfpipe-Cracks. Wie bist du aufgenommen worden und was ist dein erster Eindruck vom Team?

Patrick Cinca: Zuerst einmal ist unser Team viel grösser als das österreichische. Ich sehe darin eine Riesenchance, durch Teamgeist und eine gesunde Gruppendynamik die sportlichen Leistungen und Motivation der Athletinnen und Athleten zu beleben. Insbesondere die jungen Athlet:innen sollen von den Erfahrungen der etablierten Weltcupfahrer:innen profitieren. Dieser Informationstransfer hat sich in meinem letzten Team als enorm effektiv herausgestellt. Das Team hat mich sehr herzlich empfangen und ist extrem motiviert, mit mir einen neuen Weg einzuschlagen.

Was war beim Start deine grösste Herausforderung?

Die Herausforderung der ersten Wochen lag darin, die Athlet:innen im Schnelldurchlauf kennenzulernen. Vor den ersten Weltcups blieb dafür wenig Zeit. Dafür habe ich viele Einzelgespräche geführt. Das Verhältnis zu den Sportler:innen ist für mich extrem wichtig. Der mentale Bereich ist auf dem Top-Level entscheidend. Schliesslich zeigt sich die Qualität eines Trainers nicht nur in seiner fachlichen Kompetenz, sondern vor allem darin, die richtigen Worte im entscheidenden Moment zu finden. Die nonverbale Kommunikation und Entwicklung einer individuellen Sprache pro Athlet:in ist dabei essenziell. Aus diesem Grund verlange ich von den Athlet:innen, dass sie mit mir in ihrer Muttersprache reden. Sie sollen sich zu 100 Prozent wohlfühlen und nicht umdenken müssen. Dank meiner Eltern, die aus Rumänien stammen, habe ich stets Hochdeutsch gesprochen. Andernfalls würde ich wie Jogi Löw sprechen. Das hätte nur zu mehr Komplikationen geführt (lacht).

Ich will ein Team formen, welches in seinen Abläufen funktioniert, insbesondere auch im Hinblick auf die kommenden Weltmeisterschaften und Olympischen Spiele.

Pepe Regazzi war lange Zeit Halfpipe-Trainer. Wie gehst du mit den Standards und Gewohnheiten um, welche sich in dieser Zeit entwickelten?

Ich hatte den Luxus, dass Pepe die Übergabe in den ersten Wochen geleitet hat. Es wäre fatal, nicht auf seine enormen Erfahrungen zurückzugreifen. Das Team rund um Iouri Podladtchikov und Jan Scherrer war extrem erfolgreich. Der Sport entwickelt sich aber immer weiter und wird beispielsweise akrobatischer. Die funktionierenden Prozesse behalte ich bei und versuche dann an den richtigen Punkten meine Linie reinzubringen.

Welche konkreten Massnahmen triffst du dafür?

Ein wichtiger Punkt wird sicher das Training auf den Air Bags im Winter und im Sommer sein. Ich werde versuchen, dieses Potenzial noch besser auszuschöpfen. Die Athlet:innen lernen dort neue Achsen und Tricks unter möglichst sicheren Bedingungen. Dabei möchte ich meine Erfahrungen aus dem Big Air und Slopestyle einfliessen lassen und ihnen neue Möglichkeiten aufzeigen. Ziel ist es, einen individuellen Lauf in der Halfpipe mit jeder Athletin und jedem Athleten zu entwickeln, welcher sich von dem derzeitigen Standard der Konkurrenz unterscheidet und abhebt.

Bestes Beispiel dafür ist Jan Scherrer, welcher durch seinen eigenen Stil und seine Kreativität unglaublich erfolgreich ist.

Wie würden dich deine Athlet:innen als Trainer beschreiben?

Ich bin ein sehr fürsorglicher Trainer und investiere alles dafür, um die Grundlage zu schaffen, damit sich jeder und jede bestmöglich entfalten kann. Ich erwarte im Gegenzug volles Engagement und Leidenschaft für den Sport. Wenn ich sehe, dass Athlet:innen unvorbereitet im Training sind oder nur das Nötigste zeigen, kann ich auch ungemütlich werden. Mir ist es egal, was am Tag zuvor war, jeder Tag zählt aufs Neue. Ich bin selbst zu Zeiten gefahren, wo es noch fast keine finanzielle Unterstützung gab. Heute investiert der Verband viele Ressourcen, um optimale Trainingsmöglichkeiten zu schaffen. Ich will, dass die Athlet:innen dies schätzen und versuchen, das Optimum herauszuholen. In der Schweiz sagt ihr «Ich fühl das» – dies beschreibt es ziemlich gut. Ich will, dass die Athlet:innen im Training und im Wettkampf jeden Trick fühlen und mir dies zeigen.

Was ist dein Ziel für die erste Saison?

Ich will ein Team formen. Die Athlet:innen sollen wissen, dass sie einen Coach haben, auf den sie sich verlassen können. Der gegenseitige Respekt ist dabei sehr wichtig. Ich will alle Athlet:innen auf ihrem Weg weiterbringen, damit sie das Beste aus ihren persönlichen Möglichkeiten herausholen. Vor allem für die jungen Fahrer:innen geht es in dieser Saison darum, Konstanz und Sicherheit bei den Wettkämpfen zu erlangen. Dies ist eine Saison zum Entwickeln und um die Grundlagen zu setzen, um dann nächstes Jahr voll angreifen zu können. Dann stossen wir die Japaner vom Thron (lacht).

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Zur Person

Patrick Cinca wuchs in einer wintersportbegeisterten Familie in Stuttgart auf. Sein Weg als Snowboarder führte ihn mit 16 Jahren an die Sportschule in Schladming, was er heute noch mit einem Schmunzeln als seinen grössten Erfolg bezeichnet: als Deutscher in Österreich aufgenommen zu werden. Im Anschluss wurde er Fahrer auf der Ticket to Ride World Snowboard Tour (TTR Tour). Das grosse Ziel, die Olympischen Spiele in Sotschi, verpasste er aufgrund einer Kreuzbandverletzung. Anschliessend begann Patrick Cinca ein Studium in Innsbruck und fuhr nebenbei weiterhin Contests, wenn auch nicht mehr ganz auf dem gleichen Leistungsniveau. Gegen Ende seines Studiums wurde er von seinen Freunden Anna Gasser und Clemens Millauer angefragt, ob er ihr Trainer werden wollte. So wandelte sich der einstige Athlet und Student in einen Trainer des Österreichischen Skiverbands (ÖSV) und bekleidete diese Rolle von 2018 bis 2023.