Aline Danioth auf dem Weg zurück: Allen Widrigkeiten zum Trotz

Retour
Das Lachen nicht verloren: Aline Danioth kämpft unermüdlich weter für ihre grosse Leidenschaft. (Bild: Valentin Studerus)

Seit sie mit zwei Jahren zum ersten Mal auf den Latten stand, gab es für Aline Danioth nur noch eines: Skifahren. Auch wenn ihr Weg von zahlreichen Verletzungen geprägt ist, hält sie auch nach dem vierten Kreuzbandriss am grossen Traum fest.

Langsam, gesteht Aline Danioth im Gespräch im Oktober, beginne sie die Frage, wie es ihr gehe, zu nerven. Es sei immer lieb gemeint, ist der 25-Jährigen bewusst. Nur mit dem «mitleidigen Ton», wie sie sagt, hat sie Mühe. Dass sie als «die Athletin mit den Verletzungen» und als «Pechvogel» angesehen wird, stört sie zunehmend. «Klar: Bei vielen Dingen wünschte ich mir, es wäre einfacher gegangen. Aber menschlich wäre ich nicht so weit, wenn die Verletzungen nicht passiert wären.»

Die jüngste Verletzung erlitt Danioth am 5. März 2023. «Den Leuten ist vielfach nicht bewusst, wie gut es mir mittlerweile bereits wieder geht. Und wenn ich sage, dass es mir gut gehe, merkst du, dass sie es kaum glauben», sagt sie. Dass sich die Leute nach ihrem Befinden erkundigen, kommt nicht von ungefähr. Wer die Geschichte von Aline Danioth erzählt, landet unweigerlich bei den vielen verletzungsbedingten Rückschlägen.

Der letztjährige Kreuzbandriss war bereits der vierte ihrer Karriere. Alle hätten es verstanden, wenn Danioth die Reissleine gezogen hätte – am allermeisten sie selbst. Es habe Momente gegeben, in denen sie sich gefragt habe, ob ihr Körper nicht für den Spitzensport geeignet sei. «Ich mache alles, bin wirklich fit, achte auf die Regeneration – und trotzdem ist es wieder passiert», sagt sie. «Ich habe mir schon überlegt, ob die neuerliche Verletzung ein Zeichen dafür ist, dass ich nicht für den Sport gemacht bin.» Es gibt sie, die Situationen, in denen Danioth mit dem Schicksal hadert. Doch aufgegeben hat sie nicht. Ihre Bestimmung sieht sie auf der Piste. «Ich hätte nicht die Passion fürs Skifahren geschenkt bekommen, wenn ich nicht dafür gemacht wäre», ist sie mittlerweile wieder überzeugt. «Und wahrscheinlich muss ich das alles erleben, damit ich auch alles Schöne erleben kann. Hätte ich den 6. Platz im WM-Slalom ohne all das geholt, wäre es ein gutes Resultat gewesen. So war es einfach nur pure Freude – und der Moment, in dem ich merkte: Es hat sich gelohnt. Alles.»

Von klein auf im Ski-Fieber

Aline Danioths unbändige Liebe für den Skisport wurde früh geweckt. Seit sie mit zwei Jahren zum ersten Mal auf den Ski stand, gab es für sie nichts anderes. Als sie in die Freundschaftsbücher schreiben sollte, was sie später einmal werden wollte, war «Skirennfahrerin» die Antwort. Und als sie Schnupperlehren absolvieren sollte, wollte ihr nichts zusagen. Die Gedanken waren stets auf der Piste. «Es gab immer nur diesen einen Plan.»

Er ging auf. Die Erfolge stellten sich schnell ein. Medaillen am European Youth Olympic Festival, an den Olympischen Jugendspielen, an den Junioren-Weltmeisterschaften. Doch dann passierte es zum ersten Mal: Danioth riss sich im Dezember 2016 das Kreuzband im linken Knie. Der Aufstieg wurde ein erstes Mal jäh gestoppt. Doch die Urnerin kämpfte sich zurück, kürte sich 2018 erneut zur Junioren-Weltmeisterin in der Kombination, gewann erste Europacup-Rennen und an den Elite-Weltmeisterschaften 2019 Gold mit dem Schweizer Team. Es folgten: ein Bandscheibenvorfall und im Januar 2020 in Sestriere ein Kreuzbandriss im rechten Knie. Auf dem Weg zurück riss das Kreuzband im Oktober 2020 gleich nochmals.

Ich habe keine Antwort gefunden, warum es wieder passiert ist – irgendwann habe ich auch nicht mehr aktiv danach gesucht.

Aline Danioth

Doch Danioth kam erneut zurück, stand in der Altjahrswoche 2021 wieder am Start eines Weltcup-Rennens, gewann vier Europacup-Slaloms und erreichte an den Olympischen Spielen in Peking den 10. Platz. Im vergangenen Februar wurde sie hervorragende WM-Sechste. Der Aufstieg schien erst richtig loszugehen. Doch 15 Tage nach dem WM-Coup passierte es in einem Europacup-Riesenslalom in Schweden schon wieder: ein – wie Danioth sagt – «schöner Riss», der das Kreuzband im rechten Knie zum dritten Mal durchtrennte. Und das ohne Sturz. «Ich bekam Druck auf den Aussenski, verlor den Grip, rutschte weg und der Ski griff wieder. Das reichte.»

Den Augenblick unmittelbar nach der Verletzung bezeichnet Danioth als den schlimmsten. «Der Schmerz ist nicht einmal das Problem. Viel eher ist es der Fakt, dass du weisst, was auf dich zukommt und wie viel du nach der letzten Verletzung bereits gegeben hast.» Direkt nach dem Unfall beschäftigte Danioth auch etwas anderes: die neuerliche Verletzung kundzutun. «Ich hatte enorm Angst davor, meine Eltern anzurufen. Sie haben schon so viel durchmachen müssen mit und wegen mir. Mein nächster Gedanke war: Was denken die Leute? Ich fürchtete mich vor den Reaktionen, vor Sprüchen wie: ‹Es lohnt sich nicht mehr.› Ich zögerte es etwa drei Tage hinaus, bis ich mit der Nachricht an die Öffentlichkeit ging. Aber was dann kam, überwältigte mich.»

Auch Roger Federer litt mit

Zahlreiche Fans, Freundinnen und Kollegen meldeten sich. Der Tenor: überwiegend positiv. «Es war wunderschön, zu merken, wie viele Leute sehen, wie sehr in den Sport liebe.» Besonders überrascht war sie von den Genesungswünschen von Roger Federer via Instagram. Für Danioth als Federer-Fan ein absolutes Highlight. «Ich sass mit meinem Mami im Auto und schaute etwa fünfmal, ob es wirklich Roger war. Und als ich realisierte, dass tatsächlich er mein Bild kommentiert hatte, musste ich noch einmal weinen. Roger ist die grösste Inspiration.»

Nach dem ersten Schock begann Danioth, ihr Schicksal anzunehmen. «Ich habe keine Antwort gefunden, warum es wieder passiert ist – irgendwann habe ich auch nicht mehr aktiv danach gesucht. Du kannst es nicht ändern. Und ich wusste, dass ich es schon zuvor geschafft hatte, wieder zurückzukommen.» In einer ersten Operation liess sich Danioth die Bohrkanäle auffüllen. Dann flog sie mit der Freundin ihres Bruders in die USA. Im 500-Dollar-Bus ihrer Gotte – «nicht einmal sie wusste, ob der Bus fährt oder nicht» – machten die beiden Frauen einen dreiwöchigen Roadtrip. Sie gingen wandern, klettern, surfen. «Zwischendurch hatte ich schon Schmerzen im Knie, doch für mich war es dennoch der bestmögliche Entscheid, wegzugehen. In diesen drei Wochen vergass ich meine ganze Geschichte. Ich konnte einfach leben.» Danach kehrte Aline Danioth nicht nur in die Schweiz zurück, sondern auch in die Realität: Fünf Tage nach der Landung folgte die Kreuzband-Operation.

Ich habe mir schon überlegt, ob die neuerliche Verletzung ein Zeichen dafür ist, dass ich nicht für den Sport gemacht bin

Aline Danioth

Die Verletzung hat im Kopf der dreifachen Junioren-Weltmeisterin etwas verändert. «Ich habe versucht, sie auch als Chance zu sehen. Es gibt für mich immer noch nur den Plan A – aber trotzdem habe ich mir überlegt, was danach noch kommen könnte.» Im April 2023 begann Danioth eine Ausbildung zur Pilates-Lehrerin. Bis im Dezember gab sie zweimal pro Woche Unterricht. «Es ist enorm cool.» Danioths Fokus liegt aber auch so zu 100 Prozent auf der Reha, die sie mit ihrer Physiotherapeutin und dem Konditionstrainer im OYM in Cham absolviert. Diese Reha verlaufe optimal, Ende Dezember stand die Andermatterin wie geplant wieder auf den Ski. Sie strahlt, wenn sie davon erzählt. «Im Sommer beschäftigte ich mich möglichst wenig mit dem Skifahren, weil es mich traurig machte. Doch als es das erste Mal herunterschneite, begann es so richtig zu kribbeln.»

Für Renneinsätze in dieser Saison sei die Zeit eher knapp. «Ich schaue laufend, aber auf einen Monat mehr oder weniger kommt es auch nicht an. Ich will erst zurückkehren, wenn ich voll parat bin.» So oder so kann es Danioth kaum erwarten. «Ich freue mich auf alles: das Adrenalin, das Renngefühl – sogar auf die grossen Emotionen nach einer Enttäuschung. Und wenn ich wieder am Start stehe, weiss ich: Ich habe es geschafft. Das wird mich mit grossem Stolz erfüllen.»

Die immer gleiche Leidenschaft

Das Leben als Skirennfahrerin bezeichnet Danioth auch heute noch als Traum – «trotz aller Verletzungen». Sie habe Momente erlebt, die sie sonst nicht erlebt hätte. «Aber es ist auch ein Riesenkampf, eine Achterbahnfahrt. Ich habe mich schon oft gefragt, ob ich auch Skirennfahrerin geworden wäre, wenn ich gewusst hätte, was auf mich zukommt. Und ich muss gestehen, dass ich Kreuzbandrisse, vor denen mich viele gewarnt hatten, unterschätzte. Zum Glück! Sonst hätte mich das womöglich daran gehindert, diesen Weg zu gehen und meinen Traum zu leben.»

Diesen verfolgt Aline Danioth kompromisslos weiter. Nur wenn sie nicht mehr schmerzfrei Ski fahren könnte, «dann wäre es vorbei». Der Lockerheit, die sie wieder an den Tag legt, liegt eine tiefe Zufriedenheit zugrunde. «Ich habe alle Ziele erreicht, die ich als Mädchen hatte. Ich war an Olympischen Spielen, an Weltmeisterschaften, konnte Erfolge feiern. Ich gebe noch immer 150 Prozent, aber ich weiss: Wenn der Worst Case eintritt, kann ich stolz sagen, dass ich geschafft habe, was ich wollte.» Sportliche Ziele hat sie sich dennoch gesteckt. Aline Danioth träumt nach wie vor davon, eines Tages die kleine Kristallkugel für den Gewinn des Slalom-Weltcups in die Höhe zu stemmen. Auch die Winterspiele 2026 stehen weit oben. «Wenn ich meiner Karriere dereinst einen Titel geben soll», sagt Aline Danioth, «dann hoffe ich auf diesen: ‹Das Kämpfen hat sich gelohnt›.»

Liens

Dies ist ein Artikel aus dem Swiss-Ski Verbandsmagazin «Snowactive». 

Mehr Infos