Die Saga vom Skinest Elm ist noch lange nicht zu Ende

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Foto: Samuel Trümpy

Im Skiclub Elm sind einige prominente Meister von früher die Lehrmeister von heute. Die langjährigen Weltcup-Fahrer Jürg und Tobias Grünenfelder engagieren sich als Trainer – und sind nicht die Einzigen aus dem Örtchen, die das Skirennsport-Gen an ihre Kinder weitervererbt haben.

Das Gewusel am Besammlungsort vor dem Bergrestaurant Ämpächli wird immer grösser. Rund 35 Kinder und Jugendliche der Renngruppe des Skiclubs Elm finden sich schliesslich ein, um an diesem letzten Freitag des alten Jahres zu trainieren. In den zweiwöchigen Weihnachtsferien tun sie dies fast täglich. Noch rasch hinstehen für den Fotografen – und schon sausen sie los. Freies Einfahren.

Das Trainerteam macht sich auf den Weg zum Bischof-Lift, dem Schlepper am anderen Ende des Skigebiets. Ausstecken – einen Riesenslalom-Kurs für die Grösseren im Steilhang und einen für die Kleineren im weniger anspruchsvollen unteren Teil der Piste. Es ist eine illustre Crew, die hier Löcher in den Naturschnee bohrt und Torstangen setzt. Mit den Brüdern Jürg und Tobias Grünenfelder sowie Jakob Rhyner gehören drei Elmer Clublegenden dazu, die von hier aus in die Skiwelt hinauszogen und sich einen Namen machten, im Weltcup und in Amerika.

Citro und Vreni

Elm ist das hinterste Dorf im Sernftal – oder Chlytal, wie die Einheimischen sagen. 635 Menschen leben hier, wo seit bald 100 Jahren das weltbeste Citro produziert wird. Unter diesen 635 gibt es eine Berühmtheit: Vreni Schneider, die einst weltbeste Skirennfahrerin, 55 Weltcup-Siege, je dreifache Olympiasiegerin, Weltmeisterin und Gesamtweltcup-Siegerin. Nicht nur eine Clublegende, sondern zur Schweizer Sportlerin des Jahrhunderts gewählt.

Elm ist also ein Skinest mit einer ruhmreichen Vergangenheit. Das hat zwar vor allem, aber eben nicht nur mit Vreni Schneider zu tun. Jürg (50) und Tobias Grünenfelder (46) haben noch eine Schwester, Corina (48). Die Eltern wirteten ein Vierteljahrhundert lang im Ämpächli, die Geschwister Grünenfelder wuchsen also quasi im Skigebiet auf. Aber dass es gleich alle drei in den Weltcup schafften, verblüffte dann doch. Der Speed-Fahrer Jürg wurde 2004 Zweiter der Abfahrt in Gröden und 1998 Vierter der Olympia-Abfahrt in Nagano – eine Hundertstelsekunde hinter Hannes Trinkl, dem heutigen FIS-Renndirektor im Speed-Bereich. Tobias Grünenfelder fuhr 15 Jahre im Weltcup, zu Beginn im Riesenslalom, dann auch in den Speed-Disziplinen. 2010 gewann er vor Carlo Janka den Super-G in Lake Louise, viermal wurde er Dritter. Die Slalomspezialistin Corina erreichte drei Top-Ten-Plätze, alle in Maribor, der slowenischen Stadt, der die Erderwärmung mittlerweile den Weltcup-Garaus gemacht hat.

Einmal, an den Weltmeisterschaften 1999 in Vail und Beaver Creek, starteten alle drei am gleichen Grossanlass.

Jakob Rhyner (58) ist ein Jahr jünger als Vreni Schneider, manchmal sassen sie im gleichen Schulzimmer. Der Bauernsohn war in jungen Jahren kein Konditionswunder und flog deshalb einmal aus dem Interregion-Kader. Kaum ging es wieder um Skirennen statt um Zwölfminutenläufe, holten sie ihn zurück. Mit 21 verliess Rhyner das SSV-Kader (heute Swiss-Ski) schliesslich, um sein Glück auf den Profi-Touren in den USA und in Japan zu versuchen. Rhyner machte Furore, er brachte es bis zum Profiweltmeister und verdiente gutes Geld.

Hätte der SC Elm eine Ruhmeshalle, gebührte da auch Werner Marti, Weltcup-Abfahrer in den Achtzigerjahren, und Werner Elmer ein Ehrenplatz. Elmer bildete mit Daniel Albrecht, Marc Berthod und dem heutigen ETH-Architekten Grégoire Farquet ein hochkarätiges Schweizer Talente-Quartett mit Jahrgang 1983. Am 10. Dezember 2002 kollidierte er während einer FIS-Abfahrt in Verbier mit einem Pistenarbeiter und verstarb.

Zwischen 2006 und 2008 fuhr Kathrin Fuhrer einige Weltcup-Rennen, ehe sie langwierige Knieprobleme zum Rücktritt zwangen. Anja Schneider, die Nichte von Vreni, kam ein halbes Dutzend Mal im Europacup zum Einsatz. Heute, bald sieben Jahre nach dem Karriereende, ist sie zusammen mit ihrem Mann in dritter Generation Inhaberin des Sportgeschäfts Vreni Schneider Sport in Elm.

Nicht nur die Mineralquellen sprudeln

Florian Fässler (19), der ältere der beiden Söhne von Vreni Schneider, fährt im Juniorenkader des Skiverbandes Sarganserland-Walensee (SSW), dem der Skiclub Elm angehört. Fässler steht für die Generation, die eine Brücke schlägt von der ruhmreichen Vergangenheit in eine hoffnungsvolle Zukunft. Nach einigen dürren Jahren sprudelt der Elmer Nachwuchs wieder fast so ergiebig wie die Mineralquellen für das Elmer Citro. «Eine Zeit lang war der Skirennsport bei den Jungen im Tal ziemlich out», erzählt Jürg Grünenfelder auf der Sesselbahn Schabell. «Sie fühlten sich stärker von Freeski angezogen.» Mit Nils Rhyner (21) ist derzeit auch ein Elmer Freeskier mit Swiss-Ski im Welt- und Europacup unterwegs.

Doch der Trend ist gebrochen und der Turnaround im Ski Alpin geschafft. Das hat einiges mit Jürg Grünenfelder zu tun. 2014 trat er im Clubvorstand die Nachfolge von Heiri Schneider als Technischer Leiter an; der Bruder von Vreni und Vater von Anja sowie der damalige JO-Verantwortliche Melgg Rhyner hatten sich viele Jahre lang engagiert und grossen Anteil am Elmer Skiwunder. Jürg Grünenfelder und seinen Mitstreitern ist es gelungen, die Zahl der Kinder und Jugendlichen in der Ski-Alpin-JO auf rund 75 zu verdreifachen; zwei Drittel gehören der Renngruppe an.

Jürg und Tobias Grünenfelder haben beide drei Kinder. Alles Buben, alles Skirennfahrer. Milo (Jahrgang 2009), Yari (2011) und Samu (2014) sowie ihre drei Cousins Nicolas (2013), Alexis (2015) und Loris (2016) sind auch Nachbarn, nicht in Elm hinten, sondern in Mollis vorne, eine halbe Autostunde talauswärts. Vor allem Alexis und Nicolas, der mittlere und der älteste Sohn von Tobias, haben schon mehrfach brilliert. Alexis gewann am letztjährigen Finale des Grand Prix Migros in seinem Jahrgang das Combi-Race mit 4,07 und den Riesenslalom mit 3,92 Sekunden Vorsprung. Nicolas siegte 2023 und 2022 jeweils im Riesenslalom – wie seine Cousine Minna in ihrem Jahrgang.

«Arme nach vorne!», «Hüftknick!»

Minna Bont (2008) ist die Tochter von Corina Grünenfelder und Michael Bont, dem langjährigen SRF-Experten und einstigen Trainer der Schweizer Slalomfahrer und von Tanja Poutiainen. Minna gehört dem U16-Kader des Bündner Skiverbandes an – Familie Bont-Grünenfelder lebt in Lantsch/Lenz, wo Mutter Corina die Skischule leitet. Minna hat zwei Brüder, die Eishockey spielen, Kimo stürmt nach zwei Lehrjahren in Finnland in der U20 des SC Bern.

Jakob Rhyner, der frühere Profiweltmeister, hat zwei Kinder, die beide Skirennen fahren. Amanda (2009) ist im SSW-Kader, trainiert aber auch regelmässig mit dem Club. Rebekka (2015) gehört in der Elmer Renngruppe zu den Jüngsten. An diesem Vormittag steht Vater Rhyner am Start des schwierigeren Laufs und gibt jeder und jedem noch etwas mit auf den Weg bergab. «Arme nach vorne!», «Hüftknick!» – Rhyner lobt, korrigiert, zeigt vor.

Weiter unten stehen Jürg und Tobias Grünenfelder. Sie beobachten, tauschen sich aus, geben Feedback. Unterstützt wird die Prominenz von zwei weiteren Trainern, unter ihnen Markus Knobel, der einst FIS-Rennen fuhr und sich schon seit Jahren für den Elmer Nachwuchs ins Zeug legt. Der SC Elm ist mittlerweile der einzige Glarner Skiclub, der sich dem Rennsport verschrieben hat. Die Unterstützung der Sportbahnen Elm ist vorbildlich, der Skiclub kann auf der Piste neben dem Bischof-Lift trainieren, wann immer es die Schneeverhältnisse zulassen.

Jürg Grünenfelder legt grossen Wert darauf, nicht nur die talentiertesten Nachwuchskräfte zu fördern. «Bei uns haben auch solche Platz, die nur noch in den Toren trainieren, aber keine Rennen mehr fahren wollen», sagt er. «Wenn sie ihre Freude bewahren können, engagieren sie sich vielleicht einmal als Leiter. Wir haben gerade zwei 18-Jährige motivieren können, einen Jugend+Sport-Kurs zu absolvieren.» Je grösser die Renngruppe wird, desto mehr Trainerinnen und Trainer werden benötigt, «das ist natürlich eine Herausforderung».

Sie wissen, wie weit der Weg ist

Das Trainerteam weiss aus eigener Erfahrung, wie wichtig eine positive Gruppendynamik ist, damit die jungen Rennfahrerinnen und Rennfahrer die Leidenschaft nicht verlieren. Und es weiss auch, wie weit der Weg in den Weltcup selbst für kleine Überflieger wie Alexis Grünenfelder ist. An den Strukturen im Zigerschlitz, wie das Glarnerland auch genannt wird, sollte eine Karriere nicht scheitern. Neben dem mustergültigen Skiclub gibt es in Glarus die Sportschule Glarnerland für die Oberstufenjahre.

Mitgründer dieser Sportschule war mit Gregor Hagmann eine andere Sportgrösse aus der Region. Hagmann hat Generationen von Athletinnen und Athleten als Konditionstrainer betreut, von Jakob Rhyner über die Grünenfelders oder Diego Züger, den heutigen CEO Commercial von Swiss-Ski, bis hin zu Patrick Küng, dem Abfahrtsweltmeister von 2015, und Julie Zogg, der zweifachen Snowboard-Weltmeisterin im Parallelslalom.

Der Elmer Nachwuchs interessiert sich mehr für die Helden von heute als für die Helden von einst. Das Stangentraining endet vor dem Mittagessen. Für die Renngruppe sind im Ämpächli Tische mit Blick auf den Fernseher reserviert. Es läuft der Super-G von Bormio, und als Marco Odermatt im Starthäuschen steht, sagt Milo Grünenfelder zu seinem Vater Jürg: «Heute gibt er ihnen eine Sekunde.» Odermatt siegt mit 98 Hundertstelsekunden Vorsprung. Er hat geschafft, wovon manche hier träumen.