Von Allmen, Kohler, Hiltbrand: Das gemächlich-schnelle Berner Speed-Trio

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«Wir sind alle drei bodenständig, lustig drauf und machen gerne mal einen blöden Spruch»: Marco Kohler, Livio Hiltbrand und Franjo von Allmen (v. l.). (Bild: Stephan Bögli)

Ihre Heimat ist das Berner Oberland. Ihre zweite Heimat sind die Speed-Strecken dieser Welt. Mit Franjo von Allmen, Marco Kohler und Livio Hiltbrand machen sich gleich drei Berner Giele daran, in den Speed-Disziplinen Fuss zu fassen. Ein Gespräch über Ziele, den Reiz der Geschwindigkeit und die verbindenden Wurzeln.

Ihr grosser Moment spielte sich fast gleichzeitig ab. Es war im Januar 2023, als Livio Hiltbrand, 20, an den alpinen Junioren-Weltmeisterschaften in St. Anton zunächst die Bronzemedaille in der Abfahrt holte und sich tags darauf zum Junioren-Weltmeister im Super-G kürte. Zu diesem Zeitpunkt sass Marco Kohler, 26, rund 190 Kilometer entfernt in einer Hotellobby in Kitzbühel. 

Er wartete auf seinen grossen Einsatz, das Weltcup-Debüt in Kitzbühel, als er den Kollegen Hiltbrand vor dem Fernseher zum Titel fahren sah. «Ich hatte eine relativ hohe Nummer, zwischen der Besichtigung und meinem Start war recht viel Zeit», erinnert sich Kohler. «Wir gingen also ins Hotel und schauten das Rennen der Junioren-WM. Einer nach dem anderen ging raus, um die Streif runterzufahren – ich war noch immer da und sah, wie Livio zum Sieg fuhr.» Hiltbrand gelang in St. Anton der grosse Coup, Kohler fuhr in derselben Woche und in demselben Land sein erstes Weltcup-Rennen, wobei er auf die ersten Punkte bis zu seinem nächsten Einsatz wenig später in Aspen warten musste. Dort wiederum feierte Franjo von Allmen, 22, seinen Weltcup-Einstand. Die Geschichten der drei, so scheint es, sind eng vernetzt. Denn Hiltbrand, Kohler und von Allmen teilen sich nicht nur die Leidenschaft für den Speed, sondern auch die Heimat: Sie alle stammen aus dem Berner Oberland. Kohler wuchs in Meiringen auf, von Allmen in Boltigen, Hiltbrand nur knapp 15 Autominuten davon entfernt in Därstetten.

Was bedeutet euch Heimat? 
Marco Kohler: Das Berner Oberland ist ein wichtiger Rückzugsort für uns. Wir sind viel unterwegs mit dem Team – das Heimkommen ist immer schön, und wenn du zuhause auch noch die schönsten Berge hast… 
Livio Hiltbrand: Für mich bedeutet Heimat Natur und Freiheit. Die hast du bei uns in den Bergen viel mehr als beispielsweise in Zürich. Viele von uns könnten es sich nicht vorstellen, in eine Stadt zu ziehen – oder zumindest nicht in eine grössere. Spiez würde vielleicht noch knapp gehen. (lacht)

Wir aus dem Simmental sagten uns lieber: ‹Jetzt nehmen wir noch einen Kaffee, dann schauen wir weiter.›

Franjo von Allmen

Was wurde euch von der Familie und der Heimat am meisten mitgegeben? 
Marco Kohler: Die Bodenständigkeit. 
Livio Hiltbrand: Absolut. Die bodenständige, gemütliche, lockere Art – und dass wir nicht wegen allem gleich in den Stress kommen.
Franjo von Allmen: Genau. Wir Berner sind nicht unbedingt langsam, wie es das Klischee besagt, sondern nehmen es viel eher gemütlich. In der RS musste bei meinen Kollegen aus Zürich immer etwas laufen. Wir aus dem Simmental sagten uns lieber: «Jetzt nehmen wir noch einen Kaffee, dann schauen wir weiter.»

Nur gemächlich sind die Jungs allerdings nicht unterwegs – ganz im Gegenteil. Ihre Skikarriere verfolgen sie alle in den Speed-Disziplinen. Und das mit Erfolg und dem Durchbruch in der vergangenen Saison: Hiltbrand durfte als Junioren-Weltmeister den Super-G am Weltcup-Finale fahren. Er verlor nur 1,98 Sekunden auf den Sieger Marco Odermatt. Kohler als Erster und von Allmen als Zweiter der Abfahrts-Wertung im Europacup konnten sich einen Weltcup-Fixplatz in derselben Disziplin sichern.

Warum seid ihr Speed-Fahrer geworden? 
Marco Kohler: Im Speed waren wir einfach am besten. (lacht) 
Franjo von Allmen: Genau, nicht bei den schnellen Bewegungen im Slalom. 
Marco Kohler: Also ich wäre gerne Slalom gefahren – aber das ergibt sich, je nach Talent. 

Welches Gefühl löst Geschwindigkeit in euch aus? 
Marco Kohler: Viel Adrenalin und absolute Glücksgefühle. Das Adrenalin hat einen Suchtfaktor – es ist, ich muss es so sagen, einfach geil. 

Dass gleich drei Swiss-Ski-Athleten aus dem Berner Oberland drauf und dran sind, die Speed-Disziplinen aufzumischen, erachtet Franz Heinzer eher als Zufall. Er muss es wissen: Der Abfahrtsweltmeister von 1991 ist seit vielen Jahren Europacup-Gruppentrainer der Speed-Fahrer. In der vergangenen Saison trainierte er von Allmen und Kohler, die sich häufig ein Zimmer teilten. Sie sind nun in Weltcup-Trainingsgruppen aufgestiegen. Nachgerückt ist Livio Hiltbrand, mit dem Heinzer zuletzt in die Europacup-Saison gestartet ist. «Es gab schon früher immer gute Speed-Fahrer aus dem Berner Oberland – und die gibt es unter anderem mit ihnen drei auch jetzt wieder», erzählt Heinzer.

Das Adrenalin hat einen Suchtfaktor – es ist, ich muss es so sagen, einfach geil.

Marco Kohler

Welche eurer Fähigkeiten würdet ihr zusammenbasteln für den komplettesten Skifahrer? 
Marco Kohler: Von Franjo würde ich den Start nehmen. 
Livio Hiltbrand: Ja, ich auch! Ich bekam in Zermatt einmal brutal aufs Dach von ihm. Er kann den Ski sehr gut gehen lassen, sodass er auch in den Gleitpassagen immer sehr schnell ist. Dann hat er durch seinen muskulösen Körper sicher gute Voraussetzungen dafür, dass es bei ihm ein bisschen besser schiebt als bei mir. 
Marco Kohler: Aber bei dir ist die Position sicher besser, weil du klein bist. 
Livio Hiltbrand: Das stimmt, aber ich würde trotzdem von euch beiden je zwei Zentimeter nehmen, wenn ich könnte. 
Franjo von Allmen: Marco hat sich letztes Jahr im Europacup durchgesetzt, ich würde seine Konstanz nehmen. 
Livio Hiltbrand: Ja, die fehlt dir manchmal noch. Ich würde von dir nur die schnellen Fahrten nehmen. 
Franjo von Allmen: (lacht) Ja, von deiner Konstanz könnte ich mir noch mehr abschauen, Marco. Und sonst fährst du auch nicht schlecht Ski.

Franz Heinzer attestiert allen drei Jungs viel Potenzial. «Franjo hat eine riesige Grundschnelligkeit», sagt er. «Livio ähnelt Beat Feuz, er ist ein sehr gefühlvoller Skifahrer. Und Marco hat sich zu einem unheimlich konsequenten Sportler entwickelt nach drei Jahren Kampf nach einer schweren Knieverletzung. Er kommt von weit unten und weiss genau, wie er zu den Resultaten gekommen ist, die er erreicht hat.» Im Januar 2020 war Kohler als Vorfahrer im Training zur Lauberhorn-Abfahrt eingesetzt worden. Er stürzte im Ziel-S und erlitt Risse des Kreuzbandes, des Innenbandes und der Patellasehne sowie im Innenmeniskus im linken Knie. Die Karriere als Spitzensportler stand infrage, Ärzte zweifelten an der Fortsetzung. Kohler kämpfte sich zurück. 2023/24 darf er im Weltcup angreifen.

Franjo und Marco, ihr habt einen Fixplatz in der Abfahrt geholt. Ist das eine Erleichterung, weil ihr alle Weltcup-Abfahrten definitiv fahren könnt, oder mit erhöhtem Druck verbunden? 
Franjo von Allmen: Es ist eine Frage der Perspektive. Du kannst es als Druck von aussen anschauen oder als das Gegenteil: keinen Druck zu haben, weil du sowieso fahren kannst. Ich würde eher sagen, es ist eine Erleichterung. 
Marco Kohler: Druck kommt von innen oder aussen. Der Druck, den ich mir selber mache, bleibt derselbe: Ich will immer besser fahren und Weltcup-Punkte machen. Von aussen ist der Druck sicher weniger hoch. Ich habe meinen Platz und muss keine Qualifikation fahren, um Swiss-Ski oder meinem Team etwas zu beweisen.

Ich werde versuchen, mich im Europacup zu etablieren.

Livio Hiltbrand

Livio, du bist als Junioren-Weltmeister stärker im Fokus. Inwiefern stressen dich die gestiegenen Erwartungen? 
Livio Hiltbrand: Das lässt mich ziemlich kalt. Ich werde versuchen, mich im Europacup zu etablieren. Und es ist sicher auch mein Ziel, an den Junioren-Weltmeisterschaften noch einmal eine Medaille zu machen, im Optimalfall wieder den Sieg zu holen.

Franz Heinzer spricht von «realistischen Zielen», die Hiltbrand sich gesetzt hat. «Er kommt als Junioren-Weltmeister, nun muss er versuchen, sich im Europacup zu etablieren. Ich denke, dass er da um den 10. Platz fahren kann, und wenn ihm ganz gute Rennen gelingen, kann er auch weiter nach vorne fahren.» Auch bei von Allmen und Kohler ist er zuversichtlich. «Es liegt einiges drin. Sie haben sich eine Basis geschaffen und verdient, von der aus sie zuschlagen und grossartige Leistungen erbringen können.»

Marco und Franjo, welche Ziele habt ihr euch für die erste Saison auf höchster Stufe gesetzt? 
Franjo von Allmen: Ein Weltcup-Podest. 
Marco Kohler: Das haben wir schriftlich! 
Franjo von Allmen: Das war ein Witz. Regelmässig in die Top 30 zu fahren, wäre optimal. Es ist sicher ein hohes Ziel, aber ich setze mir lieber hohe Ziele als solche, die ich zu einfach erreichen kann. 
Marco Kohler: Bei mir ist es genauso: möglichst häufig in die Top 30 fahren, um am Ende der Saison in den besten 30 der Weltrangliste zu sein. Wenn ich im Weltcup ankommen und mich positiv präsentieren kann, bin ich zufrieden.