Auch als Landwirtin muss Heidi Bähler-Zeller das Gelände lesen

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Foto: Stephan Bögli

Heidi Bähler-Zeller wurde 1994/95 Dritte im Gesamtweltcup. Heute ist die 56-jährige Berner Oberländerin Landwirtin und unterrichtet Sport. Zu Besuch auf ihrem Hof in Wattenwil bei Thun.

Es erinnert ein bisschen an früher, als sie an steilen Hängen heikle Passagen meistern musste. Heidi Bähler-Zeller sitzt oberhalb ihres Bauernbetriebs am Steuer eines Traktors, in einem stotzigen Gebiet, in dem es von Vorteil ist, im Umgang mit solchen Maschinen routiniert zu sein. «Ich muss das Gelände lesen können», sagt sie, «sonst kann es gefährlich werden.»

Bähler-Zeller ist in ihrem Reich unterwegs, das sich in der Gemeinde Wattenwil über knapp 16 Hektaren erstreckt. Es ist ein Flecken Erde fernab von Verkehrslärm und Menschenmassen, der so viele Annehmlichkeiten zu bieten hat: Ruhe, Idylle – und einen grandiosen Ausblick auf den Thunersee, auf Eiger, Mönch und Jungfrau, den Niesen oder das Stockhorn.

Landwirtin und Sportlehrerin

Heidi Bähler-Zeller sitzt inzwischen auf dem Bänkli vor dem Kuhstall und erzählt aus ihrem Leben, das nichts mehr zu tun hat mit dem, das sie bis 29 führte. Aus der Skirennfahrerin ist eine Landwirtin geworden, die daneben seit über 20 Jahren in Sigriswil mehreren Schulklassen Sport unterrichtet. Sigriswil liegt oberhalb von Thun, ist die Gemeinde, in der sie in einer Grossfamilie aufgewachsen ist, und der Ort, der ihr unheimlich viel bedeutet.

Heidi Bähler-Zeller betrat die Bühne des Skisports als Heidi Zeller, nach der Heirat 1993 startete sie als Heidi Zeller-Bähler. 1994/95 erlebte sie den besten Winter ihrer Karriere. Sie gewann einen Riesenslalom in Park City, doppelte eine Woche später in Vail nach und liess einen Triumph im Super-G von Saalbach folgen. Die Ergebnisse hievten sie in jener Saison auf Platz 3 im Gesamtweltcup.

Das Kuriosum und der Ärger

Aber da sind noch diese Bilder, die untrennbar mit Heidi Bähler-Zeller verbunden sind, Bilder, die ein Kuriosum dokumentieren. Am 6. März 1994 will sie sich – im legendären Käsedress – aus dem Starthaus von Whistler katapultieren, aber die Bindungen lösen sich urplötzlich von beiden Ski, die Athletin rutscht bäuchlings ein paar Meter über den Schnee.

Dieses kurze Video wird zur allgemeinen Belustigung immer und immer wieder ausgestrahlt. Die Berner Oberländerin konnte anfänglich auch noch lachen, «es sieht ja wirklich wahnsinnig blöd aus». Aber heute ärgert sie sich darüber, weil sie das Gefühl hat, dass sie oft auf dieses eine Missgeschick, das erst noch auf einen Materialfehler zurückzuführen ist, reduziert wird. «Man vergisst gern, dass ich gar nicht so schlecht Ski gefahren bin», sagt sie.

Zu ihrer Zeit hatte Bähler-Zeller manchmal das Pech, dass ein Rang in den Top Ten gerade einmal zu einer Randnotiz taugte – «weil drei, vier Teamkolleginnen besser abschnitten». Aber es ist nicht so, dass sie sich nach mehr medialer Aufmerksamkeit gesehnt hätte, das Scheinwerferlicht hat sie nie wirklich gemocht.

Sie wäre zu wenig diplomatisch

Was nicht heisst, dass sie ein Duckmäuschen gewesen wäre. Sie hat sich nie davor gescheut, ihre Meinung kundzutun, und sie hat auch nie in Rätseln geredet. «Wenn man mich getschalpt hat», sagt sie in ihrem Berner Dialekt, «habe ich mich schon zu wehren gewusst.» Wäre sie mit ihren direkten Ansagen nicht prädestiniert für ein politisches Amt? «Uh nein, sicher nicht», entgegnet sie. Leserbriefe schreibt sie auch keine, selbst dann nicht, wenn es sie bei gewissen Themen unter den Nägeln brennt. «Ich wäre viel zu wenig diplomatisch.»

Als sie im Frühjahr 1996 zurücktrat, verabschiedete sie sich aus einer Welt, in der sie in den Wintermonaten aus dem Koffer gelebt hatte und regelmässig mit dem Flugzeug an Rennen oder in Trainingslager gereist war. Sie stellte sich zusammen mit ihrem Mann Hans den Herausforderungen, die ein Landwirtschaftsbetrieb mit sich bringt. Eigentlich war es nie die Idee, den Hof zu übernehmen, das sollte ihr Schwager tun. Als er aber tödlich verunfallte, plante das Ehepaar Bähler-Zeller um. 2000 kam der erste Sohn Jann zur Welt, vier Jahre später Noel. Heidi stürzte sich in eine Arbeit, die für sie nicht unbekannt war, schliesslich ist sie in Sigriswil auf einem Bauernbetrieb aufgewachsen.

Ferien? Eine Woche im Jahr

Jeden Tag steht sie um 4.20 Uhr auf, um 5.35 Uhr fährt sie mit dem Auto einen Tank mit Milch in die Käserei, die Menge variiert zwischen 210 und 600 Litern. Später pflegt sie den Gemüsegarten, ist auf dem Feld im Einsatz, kümmert sich um die Hühner, kurz: «Ich mache alles, was anfällt.» Oder besser: «Fast alles – pschütte ist Sache meines Mannes.» Und wann geniesst sie ihren freien Tag? «Früh aufstehen müssen wir immer, aber es gibt Zeiten, in denen wir es gemütlich angehen oder einen Ausflug machen können», antwortet sie, «Ferien machen wir nur einmal im Jahr während knapp einer Woche.»

Als die Familie Bähler-Zeller noch zusammen Abstecher in den Schnee machte, fuhr die Mutter nie vorneweg, sondern hintennach – als «Besenwagen» gewissermassen. «So hatte ich den Überblick und war zur Stelle, wenn einer der Buben Hilfe brauchte», sagt sie. Und sie hat unverändert den Anspruch: Wenn sie die Ski anschnallt, will sie technisch saubere Schwünge zeigen.

Die Karriere ist zwar weit weg, aber sie wäre auch in der heutigen Zeit noch gerne im Weltcup dabei. «Skifahren war meine Leidenschaft. Ich hatte das Glück, dass ich nach dem KV den Sport zu meinem Beruf machen und während Jahren ausüben durfte. Das prägt mich bis heute.» Das Geschehen verfolgt sie nun aus der Ferne, entweder auf dem Handy oder vor dem Fernseher auf dem «Ruebettli», Berndeutsch für Sofa.

Sie verzichtet auf Shoppingtouren

Auf Rummel kann Heidi Bähler-Zeller gut verzichten, sie mag keine Menschenansammlungen und meidet darum auch ausgedehnte Shoppingtouren in der Stadt. Wenn sie Lust auf einen Kleiderkauf hat, steuert sie ihr bevorzugtes Modegeschäft im benachbarten Blumenstein an, «ein Familienunternehmen», sagt sie, «die wissen, was mir zusagt». Sie mag es unkompliziert.

Kontakte pflegt sie immer noch mit ehemaligen Weggefährtinnen. Heidi Zurbriggen ist die Gotte von Bähler-Zellers Sohn Jann, auch mit Christine von Grünigen hat sie einen guten Austausch. Schon zu Aktivzeiten verstand sie sich bestens mit Karin Dedler, heute gehört die Deutsche zu ihren Freundinnen.

Und wem schaut sie heute besonders gern zu? «Loïc Meillard!», antwortet Heidi Bähler-Zeller ohne Zögern, «ich finde ihn einen fabelhaften Techniker.» Bei den Frauen nennt sie ohne Zögern die Amerikanerin Mikaela Shiffrin – «eine Bilderbuchfahrerin». Und sie hebt die Slowenin Ana Bucik hervor, «sie kommt mir vor wie ein Gummibällchen zwischen den Stangen». Ihr Blick für das Stilistische ist unverändert klar, ihr Wissen gross. Lange erteilte sie Lektionen als Skilehrerin, zudem war sie lange Nachwuchstrainerin der Region Niedersimmental/Thunersee.

Heidi Bähler-Zeller lässt nun anderen den Vortritt. «Ich bin ein reiferer Jahrgang», sagt sie mit einem Augenzwinkern. «Wenn man mich nach einem Rat fragt, gebe ich gerne Auskunft. Ansonsten ist es für mich auch in Ordnung.» Und eines ist auch klar: Langweilig wird ihr in ihrem Alltag gewiss nie.