Es konnte gezeigt werden, dass es geschlechtsspezifische Unterschiede bezüglich der Muskelansteuerung während der Landephase nach einem Sprung gibt. Dabei wurde das Verhältnis zwischen der Aktivierung des Quadriceps (vorderer Oberschenkelmuskel) und den Hamstrings (hintere Oberschenkelmuskulatur) gemessen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass bei Frauen, die bei der Landung relativ gesehen eine dominante Quadricepsaktivierung sowie eine vergrösserte Valgisierung der Beinachsen (Instabilität) zeigen, das Risiko von Knieüberbelastungsbeschwerden erhöht ist, wohingegen bei Männern kein entsprechender Zusammenhang festgestellt werden konnte. Es wurde erneut deutlich, dass das biologische Alter und der Fortschritt des Wachstumsschubes relevante Faktoren sind, die berücksichtigt werden müssen.(1)
Die meisten skiassoziierten Kreuzbandverletzungen bereignen sich während eines Richtungswechselsoder der Landungsphase nach einem Sprung.(1) Besonders häufig treten sie auf, wenn das Knie in eine dynamische Valgusstellung (X-Bein Stellung) gerät und zudem eine Rotationskomponente im Unterschenkel vorliegt. Zudem besteht eine erhöhte Verletzungsgefahr, aufgrund der direkten Kraftübertragung vom Skischuh auf die Hinterseite der Wade, was den Unterschenkel im Vergleich zum Oberschenkel nach vorne drückt. Dieser Mechanismus, auch «boot-induced anterior drawer» genannt, tritt beispielsweise bei einer Landung mit gleichzeitiger Rücklage auf. Diese Kräfte werden von den Knochen, Muskeln und Bändern abgefangen, wobei es nicht selten zu einem Teilabriss oder einer Komplettruptur des vorderen Kreuzbandes kommt.(1)(2)
Präventionsansatz:
Ein Ansatz zur Vorbeugung besteht darin, den prozentualen Anteil der Kräfte, die vom Muskel aufgenommen werden können, zu erhöhen, um den Bandapparat zu entlasten und eine Verletzungssituation zu verhindern. Der Musculus biceps femoris spielt dabei aufgrund seines Verlaufs eine wichtige Rolle: er hindert den Unterschenkel daran, übermässig nach vorne zu gleiten, was dem exzentrischen Teil einer Landebewegung entspricht, welcher bei einer verletzungsprovozierenden Bewegung dominierend ist. Folgend liegt der Trainingsfokus auf einer exzentrischen (sprich verlängernden) Muskelaktivierung und nicht, wie ansonsten üblich, in der konzentrischen (sprich verkürzenden) Phase.(2)
Auch das spezifische Training einer technisch korrekten Bewegungsabfolge bei der Landung kann dazu beitragen, das Ruptur Risiko zu senken. Das neuromuskuläre Training hinsichtlich des dynamischen Valgus (siehe Beinachsenstabilität) steht hierbei im Fokus(3)(4). Im gleichen Zusammenhang gewinnt das Auftrainieren der Hüftaussenrotatoren (Gesässmuskulatur) in Form eines exzentrischen Maximalkrafttrainings an Bedeutung. Auch die Rumpfmuskulatur scheint von zentraler Wichtigkeit in Hinblick auf eine erfolgreiche Verletzungsprävention zu sein. So konnte ein signifikanter Zusammenhang zwischen Gleichgewichts- oder Haltungskontrollmechanismen und dem Auftreten von ACL-Verletzungen dokumentiert werden. Durch gezieltes Rumpftraining können sogenannte “out of balance” Situationen vermieden werden, in denen das Gleichgewicht gestört ist. (5)(6)(7)(8)(9)(10)
In einer Studie mit 104 Nachwuchsathletinnen und Nachwuchsathleten der U15-Kategorie wurde die Beinachseninstabilität genauer untersucht. Der dynamische Valgus ist das Einknicken des Knies nach innen (X-Bein Stellung) aufgrund zu geringer muskulärer Stabilisation bei einer Sprunglandung. Dieser war bei Frauen (25 mm) im Durchschnitt grösser als bei Männern (18 mm). Zudem bestand ein direkter Zusammenhang zum biologischen Entwicklungsalter, also dazu, wie weit die Athletin oder der Athlet im Wachstumsschub fortgeschritten war. Es zeigte sich, dass besonders während des Wachstumsschubes ein Anstieg des Verletzungsrisikos aufgrund der Zunahme der Achseninstabilität vorliegt. Zu beachten ist, dass Frauen (11.7 Jahre) im Durchschnitt den biologischen Entwicklungsschub etwa 2 Jahre früher durchlaufen als Männer (13.4 Jahre).(1)
Präventionsansatz: Das neuromuskuläre Training zur Reduktion des dynamischen Valgus und der Erhöhung der Beinachsenstabilität durch kontrollierte Landungsabläufe stellt hierbei einen wichtigen Faktor dar (2)(3).
Bei der Osgood-Schlatter-Krankheit handelt es sich um eine Verknöcherungsstörung an der Tibia (Schienbein), der Ansatzstelle des Kniescheibenbandes (Ligamentum Patellae) Diese tritt häufig während des Wachstumsschubs aufgrund einem Missverhältnis zwischen Belastung und Belastbarkeit des Band- oder Knochengewebes auf. Dies führt zu knöchernen Ablösungen und freien Knochenfragmenten im Ligament, was zu einem chronischen Reizungszustand und schliesslich zu Entzündungen und Schmerzen führen kann. Normalerweise verschwinden die Symptome nach Abschluss des Beinknochenwachstums, da die ausgereiften Ligamente und Knochen eine erhöhte Belastbarkeit zeigen.(1)(2)(3)(4)
Präventionsansatz: Eine Überbelastungssituation ist zwingend zu vermeiden, was sich aufgrund des hohen Leistungsdruckes bereits bei den jungen Athleten als schwierig erweist. Sobald jedoch erste Symptome auftreten, muss durch einen kompromisslosenBelastungsstopp ein Fortschreiten der Problematik verhindert werden. Erst nach vollständigem Rückgang der Symptomatik kann ein Wiedereinstieg ins Training, mit stark reduziertem Pensum sowie adaptierter Übungsausführung, erwogen werden (5).
Aufgrund der immensen Kräfte, welche hauptsächlich bei Sprüngen auf harten Unterlagenauf die Kniescheibensehne(Ligamentum Patellae), wirken, kann es zu Reizungen und Schmerzen kommen.(1) Die Veränderungen in den Sehnen können nicht nur im MRT, sondern auch im Ultraschall sichtbar werden.(2)
Präventionsansatz: Die Studienlage bzgl. der Evidenz von präventiven Therapieansätzen kommt zu keinem eindeutigen Fazit.(3) Die besten nicht-invasiven (weder Operation noch Injektion von Platlet-Rich Plasma) Ergebnisse wurden jedoch mit exzentrischen und isometrischen Quadriceps Übungen erzielt. Es scheint so, dass der Prävention zunehmend mehr Beachtung geschenkt wird und diese bereits als routinemässige Standardmassnahme zur Verletzungs-Prophylaxe Verwendung gefunden haben.(5)(6) Mit exzentrischen, isometrischen Quadriceps-Übungen können aussichtsreiche Ergebnisse erzielt werden, da diese aufgrund ihres wettkampfähnlichen Charakters eine realitätsnahe Belastungssituation simulieren.(4) Ein Beispiel dafür wären die Deep Single Leg Pistol Squats, zu deren Ausführung du hier mehr Informationen finden kannst. Des Weiteren gibt es Studien die darauf hinweisen, dass die Stosswellen Behandlung durch die Anregung der Regeneration der Sehne Zellen einen positiven Effekt haben kann.(7)
Es wird vermutet, dass die wiederholten Zugkräfte des an der Rückseite des Femurs (Oberschenkelknochen) ansetzenden Musculus Gastrocnemius (oberflächlicher Wadenmuskel) ursächlich für dessen Unregelmäßigkeiten sind. (1)
Dementsprechend das ergänzende präventive Training auf Folgendes abzielen:
(1) Erhöhung der Beinachsenstabilität
(2) Gewährleistung einer ausreichenden maximalen exzentrischen Kraft der hinteren Oberschenkelmuskulatur (um der Quadrizeps-induzierten Translation der vorderen Tibia entgegenzuwirken)
(3) Optimierung der intra- und intermuskulären Koordination des
Oberschenkelmuskulatur (z. B. durch plyometrisches Sprungtraining) und des Rumpfes (Dead Bug Bridging)
(4) Die Wachstumsschübe / biologischer Entwicklungsstand erkennen und in die Trainingsplanung einfliessen lassen.(1)
Noel R.M. Schürmann, Präventionsprogramm Webtool, 2023, Universität Zürich
7) Link zur Studie: Sheehan FT, Sipprell WH, Boden BP. Dynamic sagittal plane trunk control during anterior cruciate ligament injury. Am J Sports Med. 2012;40(5):1068-74.
Noel R.M. Schürmann, Präventionsprogramm Webtool, 2023, Universität Zürich
1) Link zur Studie: Lynn Ellenberger WOF, Jörg Spörri. Verletzungsprävention und Risikofaktoren im Ski Alpin. Balgrist University Hospital; 2019
Noel R.M. Schürmann, Präventionsprogramm Webtool, 2023, Universität Zürich
3) Link zur Studie: Demirag B, Ozturk C, Yazici Z, Sarisozen B. The pathophysiology of Osgood-Schlatter disease: a magnetic resonance investigation. J Pediatr Orthop B. 2004;13(6):379-82.
4) Link zur Studie: Ladenhauf HN, Seitlinger G, Green DW. Osgood-Schlatter disease: a 2020 update of a common knee condition in children. Curr Opin Pediatr. 2020;32(1):107-12.
Noel R.M. Schürmann, Präventionsprogramm Webtool, 2023, Universität Zürich
3) Link zur Studie: Millar NL, Silbernagel KG, Thorborg K, Kirwan PD, Galatz LM, Abrams GD, et al. Tendinopathy. Nat Rev Dis Primers. 2021;7(1):1.
Noel R.M. Schürmann, Präventionsprogramm Webtool, 2023, Universität Zürich
Noel R.M. Schürmann, Präventionsprogramm Webtool, 2023, Universität Zürich
Webtool Verletzungsprävention Noel R. M. Schürmann